Waldorfarchitektur - die Heilbronner Waldorfschule
Was ist Waldorfarchitektur und wie entstand die typische Formensprache? Von der Gründung der ersten Waldorfschule 1919 bis in die 1950er Jahre waren die Bauten der Waldorfschulen recht einfach, aber doch lebendig. Erst ab Mitte der 1960er Jahre entstand das, was wir heute als typisch Waldorf bezeichnen: der Verzicht auf den rechten Winkel, die behütenden Baugesten, die das Empfinden einer „Behaustheit“ hervorrufen sollen, die Erlebbarkeit des Tragens und Lastens in der Gebäudekonstruktion und die Farbgebung der Innenräume, die mit der Seelenverfassung bestimmter Altersgruppen korrespondieren soll. Die Grundidee einer Waldorfschule als Oase, um das „Menschsein“ lernen zu können, liegt den Bemühungen der Architekten und ihrer Auftraggeber zu Grunde, einen lebendigen Ort zu bilden, an dem sich das Kind und der jugendliche Mensch entwickeln darf. Unsere Heilbronner Waldorfschule wurde von Johannes Billing vom Stuttgarter Architekturbüro BPR entworfen.
Die Schulbauten der Architekten von BPR zeichnen sich durch eine gewisse Modernität aus. Im Gegensatz zur manchmal empfundenen „Schwere“ der ersten Waldorfschulen haben ihre Bauten eine angenehme Einfachheit und Lichthaftigkeit. BPR suchte Raumqualitäten aus den geometrischen Gesetzen von Raum und Gegenraum sowie der künstlerischen Metamorphose zu gestalten. Viele ihrer Bauten zeichnen sich auch dadurch aus, Schulinitiativen mit wenig finanziellen Mitteln trotzdem künstlerisch bis ins Detail durchgestaltete Bauten zu ermöglichen. Die Heilbronner Initiative war eine davon. Ein gewisses grundsätzliches Vorbild war für BPR das 1965 gebaute Rudolph-Steiner-Seminar in Järna bei Stockholm und die Raumideen Alvar Aaltos (1898 - 1976) und Hans Scharouns.
Es wird erzählt, dass sich Johannes Billing einen Tag lang im Liegestuhl auf das Grundstück setzte, auf dem damals schon im ersten Bauabschnitt die ersten Klassen unterrichtet wurden, und die Höhenzüge rund um Heilbronn auf sich wirken ließ und in sich aufnahm. Daraus entwickelte er das grundlegende Gebäudekonzept für diese Bauaufgabe. Er entwarf eine zweizügige Schule, die in mehreren Bauabschnitten gebaut werden sollte. Der zweite Zug wurde nie realisiert. Die Farbgestaltung wurde von dem Künstler und Farbgestalter Fritz Fuchs aus Järna entworfen und realisiert.
Der Zeitgeist der Gegenwart mit seiner Mischung aus Coolness und Expressivität drückt sich mittlerweile auch in den Schul- und Kindergartenbauten aus.
Aber Baukunst kommt dort zum Ausdruck, wo ein lebendiger Inhalt vorhanden ist. So entstehen adäquate Waldorfgebäude dort, wo der Geist der Waldorfpädagogik immer wieder neu aus der Freiheit ergriffen und gelebt wird.
Christiane Heidenreich, Architektin