„Was gelehrt und erzogen werden soll, das soll nur aus der Erkenntnis des werdenden Menschen und seiner individuellen Anlagen entnommen sein.“

Rudolf Steiner

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Oberstufe

Die Pädagogik der Oberstufe trägt jener Entwicklung Rechnung, die durch den Wandel zur Adoleszenz, die "Pubertät", eingeleitet wird. Entstehung und Wandel der eigenständigen Urteilsfähigkeit, zudem ein verstärktes Weltinteresse und die Suche nach eigenen Lebensaufgaben werden bestimmend. Dies bedeutet auch, dass die Schüler aus der Führung der Klassenlehrerzeit entlassen sind und in den Lehrern nunmehr Partner finden, die sie auf diesem Weg begleiten. An die Stelle des Klassenlehrers tritt ein Klassenkollegium, das sich aus spezialisierten "Fachleuten" zusammensetzt.

 

Die Persönlichkeit des Unterrichtenden spielt deshalb keine geringere Rolle. Als Spezialist auf seinem Fachgebiet muss er seine Fähigkeiten in pädagogisches Können verwandeln. Nicht der Wissenschaftler oder das künstlerische Genie sind gefragt, sondern der Mensch, der die entsprechenden Fachgebiete durch seine persönlichen Kompetenzen dem jungen Menschen zur Verfügung stellt. Der Unterricht muss authentisch, das heißt originell und selbst gestaltet sein. Schulbücher und fertige Unterrichtskonzepte sind zweitrangig, ebenso elektronische Medien. Werden sie eingesetzt, dann vielleicht als Ergänzung, aber niemals können sie die Persönlichkeit und das Medium der lebendigen Sprache ersetzen.

 

Besonderer Wert wird auch auf die Eigentätigkeit der Schüler gelegt: das Epochenheft beispielsweise wird individuell gestaltet und mit selbst verfassten Beiträgen gefüllt. Die eigenständige Beschäftigung mit den Arbeitsthemen wird gefördert, wenn der Unterricht intensiv erlebt werden kann und nicht nur ein Ort abstrakter Wissensvermittlung ist. Hierzu gehört auch das kritische Hinterfragen wissenschaftlicher Lehrmeinungen und die Erarbeitung konstruktiver Alternativen. Die Schüler sollten ihre inneren Quellen für ein kreatives und freies kulturelles Leben kennen lernen. Auch in der Oberstufe sollte alles Lernen und Erkennen an das seelische Erleben angebunden werden, jetzt aber auf einer bewussteren Ebene. Dabei kann an elementare Erfahrungen aus der Unter- und Mittelstufe angeknüpft werden. Geschichtliche Entwicklungen etwa, die zunächst in bildhaften Erzählungen gefühlsmäßig aufgenommen wurden, können jetzt ins Bewusstsein gehoben und begrifflich durchdrungen werden. Im Spiel oder beim Zeichnen entwickelte Formen werden in den exakten Berechnungen der Projektiven Geometrie neu gebildet, jetzt aber in der gedanklichen Bewegung. Solche Anbindung an seelische Erfahrung erleichtert das pädagogische Bemühen, die Wirklichkeit nicht nur in abstrakten Gesetzmäßigkeiten zu reflektieren, sondern sie sich als ganzer Mensch geistig-seelisch zu erschließen. Je größer der Schatz an sinnvollen Bildern und Empfindungen in der Seele des Kindes ist, umso fruchtbarer wird der Boden für die intellektuelle Erfahrung sein.

 

Die stärkere Betonung des Intellekts und des eigenen Urteilsvermögens fordert zugleich eine bewusstere Zuwendung zu den Mitmenschen. Im sozialen Miteinander der Klassengemeinschaft lernt man einander zuzuhören, in der Vielfalt der Begabungen zu leben, einander zu helfen. Eine lebensnahe Schule sollte nicht nur das freie Denken, Sprechen und Handeln fördern, sondern auch das gegenseitige Wahrnehmen, Achten und Mittragen. Die zahlreichen internen und öffentlichen Veranstaltungen, Klassenspiele und Darbietungen sind unschätzbare soziale Übungsfelder.